Kapitel 8

Antonietta saß am Klavier und verharrte mit ihren Händen über den Tasten. Musik erfüllte ihr Inneres, eindringliche, beängstigende Töne. Ein Aufeinanderprallen von Emotionen. Ihre Finger brachten Schönheit und Poesie in das Chaos und ließen die Töne miteinander verschmelzen, bis die Musik immer lauter wurde, zu laut für den Raum mit seiner perfekten Akustik. Sie rief hemmungslos nach ihrem Liebsten, verlangte von ihm, ihrem Leid ein Ende zu bereiten. Die Musik seufzte und klagte, flehte und bettelte, wurde weich und betörend wie Sirenengesang. Eine Melodie reiner Verführung.

Die Türen zu ihren Zimmern waren bereits den ganzen Tag geschlossen. Sie wollte niemanden sehen. Nicht einmal Don Giovanni konnte sie überreden, ihm zu öffnen. Eine Sekunde nach der anderen war mit dem Ticken der Uhr verstrichen, laut wie ein Herzschlag. Endlos lange Minuten, Stunden, Tage. Sie konnte den Gedanken an eine Zukunft ohne ihn nicht ertragen. Byron. Ihr dunkler Poet. Sie hatte ihn verloren, bevor sie Gelegenheit gehabt hatte, ihn wirklich kennen zu lernen, und sie konnte nicht fassen, wie groß ihre Seelenqual war.

Der Schmerz tobte in ihr, nagte an ihr, überdeckte den Zorn auf ihren Cousin. Auf ihre Familie. Auf Justine. Sie wollte sich von niemandem trösten lassen. Nur Celt durfte bei ihr bleiben, während sie weinte und die verschiedensten Gegenstände an die Wand schleuderte, ein für sie völlig untypisches Gebaren. Sie vergoss unzählige Tränen und zürnte dem Himmel, weil er zugelassen hatte, dass ihr Cousin eine Pistole in die Hand bekommen hatte. Die ganze Zeit über blieb der Hund an ihrer Seite, führte sie an den Stolperstellen, den auf dem Boden herumliegenden Sachen, die sie zerschmettert hatte, vorbei und drückte tröstend und freundschaftlich seinen Kopf an sie.

Die Musik wurde melancholisch. Die Töne schwollen an und durchdrangen das weitläufige Gebäude, sodass sich im ganzen Haus betroffenes Schweigen ausbreitete. Selbst die Kinder sprachen im Flüsterton, und Marita ermahnte sie, leiser zu sein. Eine gedrückte Stimmung senkte sich über den Palazzo. Antonietta, ein Quell der Kraft für sie alle, ihr Halt, die einzige Konstante in ihrer aller Leben, war verzweifelt wie nie zuvor. Wegen eines Mannes. Schlimmer noch, wegen eines Mannes, den sie alle fürchteten. Die Sinfonie, ein Ausbruch von Tränen und seelischen Qualen, ging endlos weiter, bis sogar die Dienstboten weinten.

Draußen, hinter der Farbenpracht der kostbaren Buntglasfenster, war der Sturm schon lange abgeflaut, aber noch immer jagten Wolken über den Himmel, verbargen den Mond und die Sterne, sodass die Wasserspeier und geflügelten Kreaturen, die auf Dächern und Zinnen kauerten, in dunklen Schatten lagen.

Antonietta fühlte, wie die Musik in ihr aufstieg, Ausdruck von unerbittlichen, gnadenlosen Gefühlen, die wie ein Vulkan immer wieder ausbrachen. Sie spielte wie eine Getriebene, konnte einfach nicht aufhören. Und dann spürte sie seine Hände auf ihren Schultern. Seinen warmen Atem an ihrem Nacken. Seine Lippen auf ihrem Haar. Ihre Finger verharrten über den Tasten. Nach der Intensität und Gewalt der Musik abrupte Stille. Im Palazzo herrschte nach Stunden leidenschaftlicher Klänge plötzlich Schweigen.

Antonietta saß auf der polierten Klavierbank und wagte nicht, daran zu glauben, dass er hier bei ihr war, dass er nach all den langen Stunden voller Angst und Leid zu ihr gekommen war. Ihr Herz schien stillzustehen, und ihre ganze Welt konzentrierte sich auf seine Hände. Auf die Hitze seiner Haut, die Wärme seines Atems, das Schlagen seines Herzens. Ihr eigener Herzschlag stolperte leicht und passte sich dann seinem Rhythmus an, bis ihre Herzen in völligem Einklang schlugen. Sie fuhr herum, warf ihre Arme um ihn und stieß einen Schrei aus, der sofort verstummte, als er seinen Mund auf ihren presste.

Byron schmeckte ihre Tränen, ihre Liebe und Hingabe. Seine Lippen wanderten über ihr Gesicht, über ihre Augen, entdeckten von neuem ihre hohen Wangenknochen und das kleine Grübchen und kehrten schließlich zu ihrem Mund zurück, fanden Hitze und Feuer und Verlangen. Der Boden schwankte unter ihren Füßen. Antonietta zerrte an seinem Hemd, brannte darauf, seinen Körper zu berühren, ihn mit ihren Fingerspitzen zu erforschen. Sie konnte sich nicht länger zurückhalten. Sie zerriss beinahe den Stoff, der seine Haut bedeckte, während sie gleichzeitig leidenschaftlich seinen Kuss erwiderte und ihm ohne Worte sagte, was sie brauchte.

Byron hob die Schultern an, sodass sein Hemd hinunterrutschte und seine Brust unbedeckt war. Sie konnte gar nicht aufhören, ihn zu küssen, ihn immer wieder mit wilden, atemberaubenden Küssen zu überschütten. Ihre Fingerspitzen untersuchten jeden Zentimeter seiner Haut, jeden einzelnen Muskel, seine Rippen, seine schmale Taille. Sie fand die Narbe, noch wund, aber nahezu verheilt, und keuchte an seinen Mund.

Er hätte dich beinahe umgebracht. Ich dachte, du seist tot. Sie konnte es nicht laut aussprechen. Ihr Mund strich über sein Kinn und wanderte an seiner Kehle hinunter bis zu seiner Brust.

Ich habe dir doch gesagt, dass ich es überleben würde. Es tut mir leid, dass du solche Angst gehabt hast. Die Hände in ihrem Haar vergraben, schloss er die Augen und warf den

Kopf in den Nacken, als sie ungeduldig an seinen Hosen zerrte.

Ich muss dich anfassen, überall, um zu wissen, dass du lebst und hierbei mir bist. So wie in den letzten Stunden will ich mich nie wieder fühlen! Ihre Zunge kostete ihn. Zu tasten und zu schmecken, war sehr wichtig für sie, und in dem Zustand hochgradiger Erregung, in dem sie sich befand, einer Mischung aus körperlichem Begehren und tiefen Empfindungen, sehnte sie sich mehr denn je danach, ihn mit all ihren Sinnen zu erforschen.

Was ist mit deiner Schulter? Byron ließ ihr Haar los, um ihr den Morgenmantel von den Schultern zu streifen. Der zarte Stoff glitt leise raschelnd zu Boden. Die Spaghettiträger ihres Nachthemds waren hauchdünn, und er schob sie über Antoniettas Arme, sodass das Hemd ebenfalls hinunterrutschte.

Antonietta, die ihm ungeduldig das Hemd aufknöpfte, bemerkte es kaum. Sie rieb ihr Gesicht an seiner Brust, an seinem Bauch. Er zog das Band aus ihrem langen Haar, dass daraufhin in seidiger Fülle um ihren Körper wogte und seine Haut kitzelte.

»Antonietta.« Hungrig und voller Verlangen wisperte er mit rauer Stimme ihren Namen, während er mit seiner Untersuchung ihres Körpers begann. Die Wunde an ihrer Schulter war, wenn auch noch leicht geschwollen, beinahe verheilt. Die Kugel hatte ihre Wucht verloren, als sie seinen Körper durchschlug, und war knapp unterhalb ihrer Schulter glücklicherweise nicht sehr tief in die Haut eingedrungen. Byron hatte sie entfernt. Der Muskel hatte kaum Schaden genommen. Trotzdem beugte er sich jetzt vor und fuhr mit seiner Zunge über die Schwellung.

Es ist nichts. Gar nichts. Ich habe keine Ahnung, wie du in dem engen Gang an mir vorbeikommen konntest, aber du hast mir das Leben gerettet. Liebevoll und sehr genießerisch ließ sie ihre Hände von seinen Hüften zu seinen straffen Oberschenkeln wandern.

»Du willst mich ablenken.« Er brachte die Worte kaum über die Lippen. Es war ohnehin schon zu spät. Ihre Hände schlössen sich um seine harte Erektion und strichen quälend langsam darüber. Flammen züngelten auf seiner Haut. Ihre Finger waren fest und zielsicher und zeigten nicht das geringste Zögern. Sie wusste genau, was sie wollte, und sie gab ihrem Verlangen nach, indem sie ihre Fingerspitzen mit derselben Meisterschaft wie auf dem Klavier spielen und tanzen ließ.

Ihm stockte der Atem. Jeder seiner Muskeln reagierte auf ihre zärtlichen Liebkosungen, und sein Körper wurde hart und angespannt.

Ich brauche das, Byron. Ich muss einfach jeden Zentimeter von dir kennen. Gönn mir dieses Vergnügen. Du kommst später dran. Sie wartete seine Antwort nicht ab. Ihre Zähne streiften seinen Bauch, ihre Zunge kostete seine Haut. Sie hauchte ihren warmen Atem über seine Erektion und stellte voller Genugtuung fest, dass sein Glied noch härter wurde.

Er stieß ein Stöhnen aus, einen Laut, der sowohl Qual als auch Ekstase ausdrückte, als sich ihr heißer, feuchter Mund um ihn schloss. »Antonietta.« Seine Stimme war heiser, und sein Atem ging stoßweise. »O Gott, was machst du bloß!« Er griff in ihr Haar und zog sie an sich, während seine Hüften sich in einem sanften Rhythmus wiegten, den er kaum ertragen konnte. Es war eine köstliche Folter. Feuer loderte in seinem Bauch auf und breitete sich in seinem Körper aus, bis die Flammen ihn verzehrten und das Rauschen in seinen Ohren sich mit dem Brüllen des Tiers in seinem Inneren vereinte, das stürmisch seine Rechte einforderte.

Das Verlangen, seine Gefährtin für sich zu beanspruchen, erwachte in ihm und wurde stärker als sein sexuelles Begehren. Er fühlte, wie seine Eckzähne lang und spitz wurden, und wandte den Kopf von der Versuchung ab, die ihm ihre weiche Haut so verlockend darbot. »Antonietta, du bist in Gefahr!« Er stieß die warnenden Worte aus und zog sie gleichzeitig an den Haaren, damit sie den Kopf hob und bewies, dass sie über ein gewisses Maß an Selbsterhaltungstrieb verfügte. Er allein konnte sie nicht retten, dafür hatte er zu lange auf sie gewartet, sich zu lange nach ihr gesehnt. Sie wäre beinahe vor seinen Augen getötet worden, nicht einmal, sondern zweimal. Nach Art der Menschen um sie zu werben und sich in Geduld zu fassen, stand im eklatanten Gegensatz zu seinem ureigensten Wesen.

Antonietta hob den Kopf. Mit ihren langen Locken, die wie ein Umhang über ihre Schultern fielen, und ihren dunklen, von dichten Wimpern umrahmten Augen sah sie wie eine verführerische Sirene aus, wie eine hemmungslose Verführerin. »Von dir kann mir niemals Gefahr drohen.«

Ein leises, warnendes Grollen war zu hören. Er hielt sein Gesicht abgewandt. »Ich versuche dich zu schützen.«

»Ich will keinen Schutz, Byron. Ich brauche ihn nicht. Ich bin eine erwachsene Frau und trage die Verantwortung für alles, was ich tue. Ich weiß, was ich will, und ich will dich. Ich will, dass du mit mir schläfst.« Ihre Finger bewegten sich unablässig, streichelten, spielten, liebkosten. Sie küsste seinen Bauch und seine Brust und lehnte sich an ihn, um zärtlich an seinem Kinn zu knabbern

Byron konnte sie spüren, fühlte, wie sie sich eng an ihn presste, weich und anschmiegsam, sich ihm bereitwillig anbot. Ihr Blut rief nach ihm, heiß und süß und berauschend, ein Trank, der nur für ihn bestimmt war. Antonietta. Gefährtin meines Lebens. Du gehörst zu mir. Ich habe eine ganze Ewigkeit nach dir gesucht. »Ich werde nicht schweigend in die Nacht hinausgehen und verschwinden. Glaub das nicht, Antonietta. Ich bin kein Jaguarmensch. Falls du irgendwann feststellst, dass du genug von mir hast, wird es nicht leicht sein, mich loszuwerden.«

Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, und sie schmiegte sich eng an seine Hüften. »Jetzt versuchst du mir Angst zu machen. Schlaf einfach mit mir. Irgendwann müssen wir uns über die Zukunft unterhalten, aber nicht jetzt, oder?«

Sie roch so gut, rein und frisch und verlockend. Sie legte den Kopf zurück, als wollte sie ihm ihre Kehle darbieten. Byron vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. An der Versuchung. Seine Zunge fand ihren Puls, fühlte, wie er pochte. Der Rhythmus ging auf seinen Körper über, und er erschauerte vor Lust und vor Hunger. Sein Verlangen war so groß, dass jede Zelle seines Körpers in Flammen stand. Seine Zähne streiften zart die Haut über der pochenden Pulsader. Er sog ihren Duft ein. »Mir ist wichtig, dass du weißt, dass ich versucht habe, auf die Art deiner Leute um dich zu werben.« Er schloss die Augen, überwältigt von Verlangen nach ihr.

»Und du hast deine Sache sehr gut gemacht.« Wieder rieb sie sich an ihm, fast wie eine Katze.

Seine Lippen wanderten über ihren Hals und hinterließen einen Pfad feuriger Flammen. Seine Zähne kratzten leicht an ihrer Haut, und seine Arme schlössen sich fester um sie. Sein Körper fühlte sich an ihrem so lebendig wie nie zuvor an, vibrierend vor Kraft und Lebensfreude und einem Hunger, der dem Verlangen, das in seinen Adern pulsierte, um nichts nachstand. Sein Mund bewegte sich langsam hin und her, bannte sie mit seinem Zauber.

Antonietta bäumte sich unwillkürlich auf, als sich in ihrem Körper eine ungeheure Hitze wie ein Lauffeuer ausbreitete, ein Feuersturm des Verlangens, begleitet von Empfindungen, die viel tiefer gingen, als sie sich eingestehen mochte. Auf einen glühend heißen Schmerz folgte fast augenblicklich sinnliche Lust, die ihren Körper überflutete, ihr Herz und ihre Seele. Byron hob sie in seine Arme, als ob sie leicht wie eine Feder wäre. Sie spürte, wie sie durch den Raum schwebte, in einem Traum voller Leidenschaft, wie sie sie noch nie erlebt hatte.

Er murmelte ihr leise Worte ins Ohr und linderte mit seiner Zunge den Schmerz an ihrem Hals, als er sie aufs Bett legte und sich über sie schob. Seine Lippen glitten über ihr Gesicht und ihre Augen, bis sie ihren Mund fanden. Wie bist du bloß auf den Gedanken gekommen, ich könnte dich nicht lieben P Seine Zähne kitzelten ihr Kinn, strichen zart wie ein Lufthauch ihren Hals hinunter und zogen einen feurigen Pfad bis zu ihren Brüsten.

Antonietta schrie auf, wölbte sich ihm entgegen, wollte mehr. Sie zog seinen Kopf an sich, während ihr Körper vor Erregung prickelte und bebte. Hunger stieg in ihr auf, überwältigte sie mit seiner Intensität, bis sie sich nur noch danach sehnte, Byron in sich zu spüren und Erleichterung zu finden. »Warte nicht länger, Byron!« Sie versuchte ihn enger an sich zu ziehen und drängte ihre Hüften an seine. Byron war geduldig und ließ sich Zeit, indem er mit seinen Händen ihren Körper erforschte und sich jedes Detail für alle Zeiten einprägte.

Antonietta schloss die Augen. Als sein Mund über ihren Bauch und dann weiter nach unten glitt, um das Dreieck feiner Locken zwischen ihren Schenkeln zu erkunden, war die Lust, die sie empfand, so überwältigend, dass sie an Schmerz grenzte. Sie war wie besessen von dem Verlangen, ihn tief in sich zu spüren, so ausgehungert nach ihm, dass sie am ganzen Leib bebte. Überall, wo er sie berührte und küsste, brannte ihre Haut und forderte mehr.

Seine Hände spreizten ihre Schenkel. Sie hielt den Atem an, wartete und schnappte nach Luft, als er von ihr kostete, sie mit seiner Zunge streichelte und liebkoste und ihren Körper zum Leben erweckte. Sie murmelte seinen Namen, fast schluchzend, als wollte sie ihn um Gnade bitten. Noch nie hatte Antonietta ein derartiges Verlangen empfunden. Byron. Nur er konnte sie glücklich machen. Ihre Finger schlangen sich krampfhaft um die seidene Bettdecke, als Wogen der Ekstase sie überschwemmten, durch sie hindurchflossen. Sie vergrub ihre Hände in seinem Haar, musste sich an ihm festhalten, weil sie nicht allein in Flammen stehen konnte, nein, wollte.

Byron hob den Kopf, schob sich über sie und presste seine Hüften an ihre. Sie war feucht und heiß und geschmeidig und so eng, dass er nach Luft schnappte, als er in sie eindrang, ganz langsam, Stück für Stück.

Sein Körper erschauerte vor Lust. Er packte sie an den Hüften und stieß zu, um ganz tief in sie einzutauchen. In Antonietta, seinen sicheren Hafen, seine Zuflucht. Seine Welt hatte sich für immer verändert. Er war nicht mehr allein. Er würde nie wieder allein sein. Antonietta hatte seine Welt verändert und Licht in die undurchdringliche Dunkelheit seines Daseins gebracht. Er hob ihre Hüften an, weil er noch mehr wollte, weil er wollte, dass sie alles von ihm nahm.

Antoniettas ganzer Körper prickelte und vibrierte vor Lust, als würde er von einem Erdbeben erschüttert, das immer weiterging, bis sie es kaum noch aushalten konnte. Nichts hatte sie auf das Ausmaß und die Intensität eines gemeinsam mit Byron erlebten Orgasmus vorbereitet. Ein solches Geschenk hatte sie nicht erwartet. Keine ihrer früheren Erfahrungen ließ sich auch nur annähernd damit vergleichen. Sie schluchzte, so überwältigt war sie. Ihre Sinne waren so geschärft, ihr Körper so sensibilisiert, dass jede seiner Bewegungen ein wahres Feuerwerk an Empfindungen in ihr auslöste.

Ihr Weltbild verengte sich auf diesen einen Mann, auf dieses eine Wesen, auf seinen Körper, der sich in vollkommenem Einklang mit ihrem bewegte. Das Blut rauschte in ihren Adern, und ihr Pulsschlag hämmerte in ihren Ohren. Musik brauste zu einem tosenden Crescendo auf, als er seinen Kopf zurückwarf und mit harten, langen Stößen tief in sie eindrang und eins mit ihr wurde, zwei Hälften eines Ganzen vereinte. Antonietta glaubte, vor Glück über die Intensität dieser Erfahrung, über diese unendliche Freude, die sie erfüllte, schreien zu müssen. Byrons Stimme vermischte sich mit ihrer, aber vielleicht bildete sie es sich auch nur ein, sie wusste es wirklich nicht. Es gab nur noch Hitze und Feuer und ein Verschmelzen miteinander, bis sie völlig erschöpft waren und kraftlos aufs Bett sanken.

Byron, der am ganzen Körper zitterte, legte seine Lippen an ihr Ohr und raunte einen unhörbaren Befehl. Einer seiner Fingernägel wurde lang und scharf und ritzte eine Wunde in seine Brust. Er presste Antoniettas Mund an seine Haut. Als ihre Lippen ihn berührten, keuchte er, und grelle Blitze zuckten durch seine Blutbahnen. Er hörte die Worte laut in seinem Inneren widerhallen, in seinem Herzen und seiner Seele. Sie schrien danach, laut ausgesprochen zu werden. Das Tier in seinem Inneren erhob sein Haupt, fuhr seine Krallen aus und brüllte nach seiner Gefährtin. Ti amo. Falls ich versäumt habe, es dir zu sagen, ti amo, Antonietta. Er holte tief Luft, damit sie beide ruhiger wurden, und rang mühsam um seine Beherrschung. »Ich beanspruche dich als meine Gefährtin des Lebens. Ich gehöre zu dir. Ich gebe mein Leben für dich. Ich biete dir meinen Schutz, meine Treue, mein Herz, meine Seele und meinen Körper. Alles, was dir gehört, nehme ich in meine Obhut. Dein Leben, dein Glück und dein Wohlergehen werden für mich immer an erster Stelle stehen. Du bist die Gefährtin meines Lebens und für alle Zeiten an mich gebunden und unter meinem Schutz.«

Er konnte die Bande spüren, die sie zusammenschmiedeten, Millionen von Fäden, die sie bis in alle Ewigkeiten miteinander verbinden würden. Alles in ihm wurde ruhig. Sein Geist und seine Seele fanden Frieden. Sanft hielt er sie davon ab, mehr von seinem Blut zu nehmen, als für einen wahren Austausch erforderlich war. Mit einem langen, betörenden Kuss weckte er sie aus ihrer Verzauberung, nahm den Schleier von ihrem Denken und legte das volle Ausmaß seiner Empfindungen in diesen einen Kuss.

Antonietta legte ihre Arme um Byron und erwiderte seinen Kuss. Sie genoss es, sein hartes Glied immer noch in sich zu spüren. »So habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Noch nie.« Einen Moment lang nahm sie einen merkwürdigen Geschmack in ihrem Mund wahr, nicht unangenehm, nur ungewohnt, aber dann war der Eindruck verschwunden, überdeckt von dem heißen Feuer, das in ihrem Inneren loderte.

»Du klingst so erstaunt.« Byron kitzelte mit seinen Lippen ihren Hals. »Du hattest anscheinend keine großen Erwartungen.«

Sie lachte vergnügt. »Ich hatte sehr große Erwartungen, und du hast sie allesamt übertroffen.« Am liebsten hätte sie ihn für immer in den Armen gehalten. Ihre Hände strichen sein Haar glatt, fuhren über seinen Rücken und kehrten zurück, um seine Brust zu begutachten. »Dreh dich auf den Rücken. Ich will deinen Bauch untersuchen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du am Leben bist. Ich war überzeugt, dass du tot bist. Ich habe immer wieder versucht, Verbindung zu dir aufzunehmen, aber ich konnte dich nicht erreichen.«

Byron löste sich widerstrebend von ihr. Sofort fühlte er sich beraubt. »Ich glaube, ich muss gleich wieder mit dir schlafen, Antonietta.«

Ihre Fingerspitzen ertasteten die Wunde in seinem Oberkörper. »Du müsstest tot sein.«

»Ja. Mein Verwandter hat mich gerettet, indem er mir sein Blut gab. Wo ist Paul? Ist er schon befragt worden?«

Sie presste ihre Lippen an die Wunde. »Nicht von mir. Ich konnte es nicht ertragen, mit einem von ihnen zu reden. Ich wollte seine Ausflüchte nicht hören.« Sie fröstelte. »Mir ist nicht aufgefallen, wie kalt es ist. Du hättest etwas sagen sollen.«

»Ich friere nur selten. Ich mache ein Feuer im Kamin, dann können wir uns davorsetzen.« Er stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf und griff nach ihrer Hand.

»Ich habe nichts an! Ich kann nicht einfach nackt herumlaufen.« Die Vorstellung, dass er sie gerade anstarrte, erschreckte sie, und dieses eine Mal wünschte sie wirklich, sie wüsste, wie sie aussah.

»Natürlich kannst du das. Du brauchst nichts zum Anziehen«, sagte er leise. »Ich schaue dich gern an, wenn du nichts trägst. Du bist sehr schön, dein Körper mit seiner weiblichen, weichen und anschmiegsamen Form ist ein wahres Wunder. Ich liebe es, ihn zu berühren, so, wie Gott ihn erschaffen hat.« Seine Handfläche fuhr über ihre vollen Brüste und über die leichte Wölbung ihres Bauchs und ruhte einen Moment lang auf den dunklen Locken zwischen ihren Schenkeln. Sein Finger glitt in sie hinein, streichelte und neckte ihre feuchte Hitze, bis Antonietta mit den Hüften zurückstieß und sich mit einem leisen Keuchen an seiner Hand rieb. »Genauso wie ich es liebe, dass du so schnell zu erregen bist.«

Sie schnappte nach Luft, als ein Orgasmus sie erschütterte. »Sex hat mir immer Spaß gemacht, aber ich hatte keine Ahnung, dass es so sein könnte. Wirklich nicht. Es ist fast beängstigend, wie toll es sein kann. Beängstigend und so berauschend, dass es süchtig macht.«

»Gut«, sagte er zufrieden.

»Ich kann nicht nackt hier herumstehen und mich von dir anstarren lassen. Es ist kalt im Zimmer.« Ihr Körper prickelte vor Lebensfreude und Erregung.

Byron leckte an einem seiner Finger. »Du schmeckst gut. Weißt du das? Ich mache jetzt ein Feuer. Die Sessel sind bequem, und wir können es uns gemütlich machen, während wir uns unterhalten. Ich würde gern erfahren, wie Don Giovanni die Nachricht aufgenommen hat, dass Paul nicht nur mich, sondern auch dich angeschossen hat.« Er machte eine Handbewegung in Richtung Kamin, und sofort züngelten Flammen um die Holzscheite. »Dein Großvater ist doch sicher informiert worden. Du warst verletzt. Deine Familie muss einen Arzt geholt haben, um deine Wunde anständig versorgen zu lassen.«

»Ich habe keine Behandlung gebraucht. Die Kugel war bereits aus der Schulter entfernt worden, und die Wunde hatte sich fast vollständig geschlossen. Das warst du, nicht wahr?«

Er berührte ganz leicht ihre Schulter. »Ich würde dich nie mit Schmerzen zurücklassen. Ich wusste, dass ich dich eine Weile nicht sehen würde, aber ich dachte, deine Familie würde darauf bestehen, vorsichtshalber einen Arzt kommen zu lassen.«

Antonietta war sich sicher, dass er sich nicht bewegt hatte, sich nicht gebückt hatte, um das Feuer anzuzünden, aber noch während er sprach, fühlte sie die Wärme der Flammen. Ein wunderbarer, aromatischer Duft wehte zu ihr herüber. »Was riecht hier so gut?«

»Kerzen. Mein Volk glaubt an die Wirkung der Aromatherapie. Wir können beide heilende Kräfte und neue Energien brauchen.« Seine Finger strichen erneut über ihre nackte Schulter, berührten leicht die Wunde und streichelten sie sanft. »Dein Cousin kann von Glück reden, dass er noch lebt.« Am liebsten hätte er Paul die Kehle aufgeschlitzt, weil er Antonietta in Gefahr gebracht hatte.

»Mein Cousin ist ein Idiot. Ich weiß wirklich nicht, was ich mit ihm machen soll.«

»Kannst du die Gedanken deiner Familie immer lesen, so wie bei den Besprechungen, bei denen du lauschst? Vielleicht sollten wir versuchen zu erfahren, was er als Nächstes plant.«

»Ich lausche nicht«, protestierte sie. »Ich höre zu. Das ist ein Unterschied. Die Gedanken meiner Familie lesen? Warum sollte ich? Ich weiß sowieso, was sie denken. Es ist schlimm genug, es zu wissen, geschweige denn, es tatsächlich zu hören.« Das Lächeln auf ihrem Gesicht verblasste. »Ich lege viel Wert auf Privatsphäre, Byron. Ich möchte nicht in den persönlichen Gedanken meiner Verwandten herumschnüffeln.«

»Ach ja?« Byron setzte sich in den weich gepolsterten Sessel und lehnte sich behaglich an den hohen Rücken. »Wenn ich dich richtig verstehe, Antonietta, ist es also durchaus in Ordnung, wenn du dein geschärftes Gehör benutzt - eine Gabe, die die meisten Menschen übrigens nicht haben -, um bei Geschäftsbesprechungen zu lauschen, aber es ist nicht in Ordnung, dasselbe bei deiner Familie zu tun.« Irgendetwas an seiner Stimme wirkte beängstigend, so sehr, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Sie wusste, dass ihr von seiner Seite niemals Gefahr drohen würde, aber manchmal erinnerte er sie an ein wildes Tier, frei und ungezähmt und zu großer Gewalttätigkeit fähig.

Antonietta setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel. Die Wärme des Kaminfeuers vertrieb das Frösteln, das ihre Furcht hervorgerufen hatte. »Zugegeben, wenn du es so ausdrückst, klingt es nicht richtig, aber das Geschäft erhält unsere Familie und unseren Landbesitz. Nonno fällt es zunehmend schwerer, sich an Details zu erinnern. Ich musste ihn mehrmals daran hindern, etwas zu unterschreiben, das uns große Verluste eingebracht hätte. Zum Glück haben wir phantastische Anwälte, und Justine liest mir alles vor. So haben wir eine Art Sicherheitsnetz. Trotzdem könnten wir ohne mein Lauschen, wie du es nennst, Probleme bekommen.« Ihr Seufzer klang in der Stille des Zimmers sehr laut. Der Regen, der leise an die Fensterscheiben prasselte, passte zu ihrer gedrückten Stimmung. »Ich habe immer gehofft, dass Paul sich irgendwann für die Firma interessieren würde.«

Antonietta empfand es als ziemlich erregend, nackt vor dem Kamin zu sitzen. Sie konnte spüren, dass Byrons Blick unverwandt auf ihr ruhte, heiß und eindringlich.

»Ich würde mir eher Sorgen darüber machen, dass er sich vielleicht jetzt schon für die Firma interessiert. Die Pistole war auf dich gerichtet.«

»Es war ein Unfall. Das weiß ich. Paul hat zugegeben, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hat. Er schuldet irgendwelchen Leuten Geld und meint, sie könnten sehr unangenehm werden, wenn er seine Schulden nicht bezahlt. Also hat er sich eine Pistole gekauft, weiß aber gar nicht, wie man damit umgeht. Ich habe mit Justine gesprochen ...«

Byron nickte. »Ah ja, die treu ergebene und vertrauenswürdige Justine.«

Antonietta runzelte die Stirn. »Diese Menschen sind meine Familie, Byron. Ich finde es wirklich großartig von dir, dass du nicht zur Polizei gegangen bist, um Paul anzuzeigen. Du hast keine Ahnung, wie dankbar ich dir dafür bin. Er würde ins

Gefängnis kommen, und wir wissen beide, dass er dort keine Chance hätte.« Sie lehnte sich zurück, ohne sich bewusst zu sein, dass ihre üppigen Brüste dabei verlockend wippten. »Du hättest Paul sehen sollen, als wirnoch jung waren. Ich wünschte, du hättest ihn damals gekannt. Er hat einen wachen Verstand und war als Junge so liebenswert. Sein Vater hat ihm jedes Selbstvertrauen und jede Willenskraft genommen. Erwachsene können Kinder sehr leicht verderben.«

Byron musste unwillkürlich lachen. »Das stimmt. Meine Schwester hat vor ein paar Jahren ein Kind angenommen. Der Junge hat es faustdick hinter den Ohren, aber Eleanor hält ihn natürlich für einen wahren Engel und verzieht ihn nach Strich und Faden.« Er konnte der unausgesprochenen Einladung nicht widerstehen, schloss eine Hand um Antoniettas Brust und streichelte mit dem Daumen ihre Spitze.

»Du hast eine Schwester?« Antonietta war überrascht. Byron sprach nie über seine Vergangenheit oder Zukunft und hatte auch seine Familie noch niemals erwähnt. »Dieser Mann, der letzte Nacht mit mir sprach, Jacques... er hat gesagt, dass deine Verwandten hier in der Nähe wären.« Ihr Körper reagierte äußerst sensibel auf seine Liebkosung, und sie wünschte, Byron würde nie damit aufhören, sie zu streicheln. Sie genoss es, von ihm berührt zu werden, wollte sein Verlangen, sie zu berühren, spüren. Es konnte einen tatsächlich süchtig machen.

»Hast du gedacht, meine Eltern haben mich unter einem Stein gefunden ? Und angeheiratete Verwandte habe ich auch.« Byron ließ sie widerstrebend los, lehnte sich in seinem Sessel zurück, streckte die Beine aus und beobachtete, wie der Schein des Feuers flackernde Lichter auf ihren Körper und ihr Gesicht warf. »Deine Haut ist wunderschön.« Die Worte rutschten ihm heraus, bevor er sie zurückhalten konnte. Persönliche Bemerkungen machten Antonietta verlegen.

Die Aufrichtigkeit in seiner Stimme brachte sie aus der Fassung. Es war unmöglich, die Freude, die sieh in ihr regte, zu unterdrücken. »Grazie, Es ist schön, das zu wissen.«

Er streckte einen Arm aus und nahm ihre Hand. »Eleanor hat mehrere Kinder verloren. Das war sehr schlimm für sie. Ein Sohn blieb am Leben, und es ist ihr gelungen, einen ziemlich anständigen Mann aus ihm zu machen. Er würde dir gefallen. Vlad, Eleanors Gefährte, nahm ihn fest an die Kandare, wenn sie ihn zu sehr verwöhnte.«

»Warum benutzt du nicht den Ausdruck Ehemann? Du sagst immer >Gefährte< oder »Gefährte des Lebens<.«

»Das ist in unserer Sprache üblich. Im Gegensatz zu den Jaguarmenschen binden wir uns für ein ganzes Leben und darüber hinaus. Kurzfristige Affären gibt es nicht. Die Aufgabe, unseren Partner zu lieben und glücklich zu machen, gilt als lebenslängliche Verpflichtung.«

Seine Worte klangen beinahe herausfordernd, und sie hatte das Gefühl, dass er lächelte. Antonietta entschied sich, nicht näher auf seine Erklärung einzugehen. »Du hast also einen Neffen.« Sie war sich seiner Finger, die über ihre Haut strichen, mehr als bewusst. Sein Daumen streichelte ihr Handgelenk. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie erotisch die Berührung an einer so wenig intimen Körperstelle sein konnte. Sie meinte schon wieder, dahinschmelzen zu müssen.

»Ja, Eleanor hat es geschafft, einen Sohn auszutragen. Benjamin. Benji war und ist für uns alle ein Wunder. Er macht sich wirklich gut, und wir sind sehr stolz auf ihn. Meine Familie beschäftigt sich mit Kunsthandwerk. Benji arbeitet am liebsten mit Edelsteinen, genau wie ich. Ich würde dich sehr gern in die unterirdischen Höhlen bringen, wo man Edelsteine praktisch von den Wänden abbrechen kann.« Sehnsucht schwang in seiner Stimme mit.

»Das würde ich sehr gern machen. Fertigst du immer noch Schmuck an?«

»Da ich dich jetzt gefunden habe, habe ich vor, wieder damit anzufangen. Es inspiriert mich, dich hier sitzen zu sehen, dein Haar auf deinen Schultern und der Schein des Feuers auf deiner Haut. Ich möchte ein Kollier aus Feuer und Eis machen und es um deinen Hals legen.«

Sein Ton beschwor in ihr das Gefühl herauf, kühle Steine auf der Haut liegen zu haben, und es war so real, dass Antonietta eine Hand an ihren Hals legte und beinahe erwartete, dort eine Kette aus Gold, Diamanten und Rubinen zu finden. »Ich würde sehr gern Schmuck tragen, den du entworfen hast.«

»Ich werde etwas ganz besonders Schönes für dich machen, das zu deiner Haut und deinem Haar passt. Es wäre eine unendliche Freude für mich.«

»Dein Neffe fertigt auch Schmuck an?« Antonietta liebte es, wenn seine Augen auf ihr ruhten. Sie musste nicht sehen können, um zu wissen, dass er sie anschaute. Über jedes Gefühl von Verlegenheit war sie hinaus. Sie wollte seinen Blick fühlen. Sie wollte sein leidenschaftliches Verlangen fühlen. Sie empfand dasselbe für ihn, so stark, dass es ihr immer schwerer fiel, sich auf ihre Unterhaltung zu konzentrieren. In Gedanken beschäftigte sie sich viel zu sehr damit, sich dort in dem Sessel vor dem Kamin rittlings auf ihn zu setzen.

»Soweit ich weiß, hat er eine Lehre begonnen. Ich habe ihn eine ganze Weile nicht gesehen. Aber Eleanor hat auch noch den jungen Josef, und das ist eine ganz andere Geschichte. Seine leibliche Mutter war relativ alt, als er zur Welt kam, und sie starb innerhalb einer Stunde nach seiner Geburt. Eleanor und Vlad boten sofort an, ihn bei sich aufzunehmen. Zuerst kam der Junge in die Obhut von Deidre, Vlads Schwester, und ihrem Gefährten Tienn, aber Deidre verlor so viele Kinder, dass Tienn fürchtete, sie könnte es nicht verkraften, falls auch der kleine Josef nicht überleben würde. Es ist sehr schlimm für Eltern, ihre Kinder zu verlieren. Viele unserer Kinder überleben die ersten Monate nicht.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, Marguerite zu verlieren, und sie ist nicht einmal mein Kind«, sagte Antonietta. »Wie traurig für deine Schwester und deinen Schwager. So viele Leute haben Kinder, obwohl sie im Grunde gar keine wollen, während viele andere sich Kinder wünschen und keine haben können.«

»Wie ist es mit dir? Wünschst du dir Kinder?«

Sie zuckte die Achseln. »Früher einmal habe ich davon geträumt, Kinder zu haben. Ich denke, das wünschen sich die meisten Frauen, Byron, aber ich hatte Verpflichtungen, und meine Karriere nahm mich sehr in Anspruch. Ich kannte keinen Mann, mit dem ich mir eine dauerhafte Beziehung hätte vorstellen können. Auch wenn ich daran dachte, allein ein Kind großzuziehen, fand ich, es wäre dem Kind gegenüber nicht richtig. Ich gehe oft auf Tourneen, ich werde gebraucht, wenn eine meiner Opern aufgeführt wird, und außerdem bin ich ständig in die Geschäfte des Familienunternehmens involviert. Damit bleibt für ein Kind sehr wenig Zeit.«

»Verstehe.«

Aus irgendeinem Grund ging Antonietta innerlich in Abwehrstellung. Es war eine alberne Reaktion, da seine Stimme völlig ausdruckslos war, aber sie hatte den Eindruck, dass er das, was sie sagte, falsch interpretierte. Im Lauf der Jahre hatte sie gelernt, ohne Sehkraft zu leben und die Reaktionen anderer an Stimmen oder auch an in der Luft liegenden Spannungen abzuschätzen. Bei Byron aber gelang ihr das nicht, und das machte sie unsicher und verletzlich. Sie entzog ihm ihre Hand, als ihr bewusst wurde, dass er an ihrem Handgelenk ihren unruhigen Puls fühlen konnte. »Wirklich? Das wäre wirklich ein Wunder, denn die meisten Leute verstehen überhaupt nicht, wie mein Leben aussieht.«

»Aber ich bin schließlich nicht wie die meisten, oder?« Ein Hauch von Spott lag in seiner Stimme.

»Nein, bist du nicht«, bestätigte sie. »Du bist etwas ganz Besonderes. Wenn du kein Jaguarmensch und auch kein ganz normaler Mensch bist, was bist du dann? Was genau? Und speise mich bitte nicht mit einer unergründlichen Antwort ab, die für mich keinen Sinn ergibt.«

»Ich bin Kaipatianer, das heißt, meine Heimat sind die Karpaten, ein Gebirgszug in Südosteuropa. Mein Volk ist uralt, und wir entstammen der Erde. Ihr Menschen kennt ja die Legenden von Vampiren, Werwölfen und Jaguarmenschen, und in diese Welt gehören wir auch.« Er antwortete ihr in aller Aufrichtigkeit, so wie es für Gefährten des Lebens selbstverständlich war. Seine dunklen Augen ruhten auf ihrem Gesicht und betrachteten es forschend.

»Ich weiß, dass du anders bist, Byron. Komisch, zu akzeptieren, dass es Jaguarmensehen gibt, fällt mir leicht, aber es mit einem Werwolf oder Vampir zu tun zu haben, scheint irgendwie grotesk.« Sie lachte leise über sich selbst. »Warum ist das wohl so ? Warum kann ich das eine bereitwillig als Realität annehmen, das andere hingegen nicht einmal als Möglichkeit in Betracht ziehen?«

»Ein Karpatianer ist weder Werwolf noch Vampir. Wir gehören zu einer Spezies, die vom Aussterben bedroht ist und um ihren Platz in der Welt kämpft.«

Sie wog seine Worte sorgfältig ab und forschte in ihnen nach Hinweisen auf eine verborgene Bedeutung. »Seid ihr wie eine dieser Arten? Ich habe mich ausführlich mit den Legenden und der Mythologie der Jaguarmenschen befasst. Kannst du deine Gestalt ändern? Ich kann es nicht. Ich fühle manchmal, wie etwas nach mir greift, und weiß, dass es irgendwo in meinem Inneren ist, aber ich kann es nicht einfach auf Kommando machen. Ich habe die Kraft dieses Wesens in mir zu Hilfe genommen, es ist mir aber nie richtig gelungen, es gänzlich zum Vorschein kommen zu lassen.«

»Ja, ich kann meine Gestalt ändern.«

Sie hatte eigentlich nicht erwartet, dass er es zugeben würde. Die Vorstellung war atemberaubend und erschreckend zugleich. Sie holte tief Luft. »Kannst du fliegen?«

»Ja. Du weißt, dass ich es kann. Ich habe deine Erinnerung daran nicht ausgelöscht.«

Sie saß in der Dunkelheit, die sie ständig umgab, und schwieg ein paar Herzschläge lang, um zu verarbeiten, was er ihr gerade gesagt hatte. Er konnte fliegen! Ihr Herz schlug bei der Vorstellung schneller, obwohl ihr menschlicher Verstand Einspruch erhob. »Das muss eine wundervolle Gabe sein.« Ihre Wimpern hoben sich. Sie konnte ihn nicht sehen, schaute ihn aber direkt an. »Für eine so ungeheure Gabe zahlt man sicher einen hohen Preis.«

Byron sah sie an. Am liebsten hätte er vor Freude gelacht. Sie saß hier bei ihm, seine Gefährtin des Lebens, nackt und schimmernd im Feuerschein. Eine Welt voller Farben tanzte vor seinen Augen. Seine Empfindungen waren so aufgewühlt und intensiv, dass er sie kaum beherrschen konnte. Welchen Preis hatte er bezahlt? Jahrhunderte eines düsteren Daseins. Eine Welt in Grautönen und voller Verzweiflung. Die unablässigen Einflüsterungen der bösen Mächte, die nach ihm riefen. Die endlosen Minuten und Stunden, Tage und Jahre größter Einsamkeit. Antonietta hatte all das in einem Augenblick weggewischt.

»Ich lebe, Antonietta, und zwar auf eine ganz bestimmte Art. Für mich ist es weder gut noch schlecht, wie oder was ich bin. Ich bin es einfach. Ich akzeptiere, wer ich bin, und ich bin stolz auf mein Volk. Wir haben Ehre und Loyalität und viele andere Stärken, aber wie jede andere Art haben auch wir unsere Schwächen. Ich kann mich nicht im Sonnenlicht aufhalten. Es würde mir schaden. Deshalb kann ich tagsüber nicht bei dir sein, um dich zu beschützen.« Seine Stimme war sehr sachlich. »Ich erlebe die Schönheit der Nacht. Sie ist meine Welt, mein Dasein, und ich liebe sie. Ich will dir meine Welt vertraut machen, damit du sie nie fürchtest. Damit du ihre Schönheit um ihrer selbst willen erkennst, nicht nur mir zuliebe.«

Antonietta wusste nicht, ob es an dem lag, was er sagte oder daran, wie er es sagte, aber sie schmolz schon wieder dahin. Verlangte nach ihm. Sehnte sich danach, in ihm zu sein, in seinem Herzen und in seiner Seele. Und sie wollte seine Welt kennen lernen. Seine Stimme ähnelte beinahe einem Schnurren, als er von der Schönheit der Nacht sprach. Sie lebte in der Dunkelheit, und sie wollte genauso empfinden wie er.

Antonietta konnte der Versuchung nicht länger widerstehen. Sie stand auf und machte ein paar Schritte in seine Richtung. Byron enttäuschte sie nicht. Er streckte einen Arm nach ihr aus, genau, wie sie es erwartet hatte, ließ seine Hand an ihrem Bein hinaufwandern und streichelte mit zärtlichen, geschickten Fingern die Innenseite ihrer Schenkel. Ihr Körper reagierte sofort mit feuchter Hitze und verriet, wie sehr sie sich nach der reinen Magie sehnte, die sie erwartete.

Seine Hände zogen sie näher an sich heran, und sie stellte sich zwischen seine Beine, während seine Handfläche ihr feuchtes Dreieck fand und sich schwer darauf drückte. Lichtblitze zuckten hinter ihren Augen auf, ein Feuerwerk strahlender Farben, während ihr Körper vor Erregung pulsierte. Sein Finger glitt in sie hinein, und ihre Muskeln schlössen sich um ihn.

»Wenn ich bei dir bin, Byron, gibst du mir das Gefühl, dass ich zusammen mit dir fliegen kann.« Sie musste sich an ihm festhalten, weil sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Ihre Hüften drängten sich an seine Hand, wollten mehr, wollten ihn.

Ungeduldig schob sie sich weiter nach vorne und setzte sich rittlings auf seinen Schoß, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als seine Hand zurückzuziehen und ihr zu geben, was sie so dringend brauchte. Ihr Hunger wurde immer größer, ein ungeheurer Appetit, der nur vorübergehend gestillt werden konnte. Sie schob sich über ihn. Hart und groß drang er langsam in sie ein, füllte sie aus, dehnte sie, bis die Reibung unglaublich und perfekt war, so, wie sie es sich ersehnte.

Ihre Brüste streiften seinen Oberkörper, und ihr Haar wogte um sie herum, als sie anfing, sich im heißen Rhythmus der explosiven Leidenschaft in ihrem Inneren zu bewegen. Sie ritt ihn abwechselnd hart und schnell und langsam und genießerisch und schenkte ihnen beiden unvorstellbare Lust. Sie hörte Geräusche. Den Wind. Ihren Herzschlag. Leises Raunen in der Ferne. Sie fühlte alles, die Beschaffenheit seiner Haut, die Form seiner Knochen, die festen Stränge seiner Muskeln und den endlosen Höhepunkt, der ihre ganze Welt erbeben ließ.

Kapitel 9

Ich glaube, deine Familie wird allmählich unruhig«, sagte Byron und legte besitzergreifend seine Arme um sie. Er konnte sie hören, das unablässige Wispern im Haus. Antoniettas Verwandte wollten, dass jemand nach ihr sah, hatten aber Angst, in ihre Nähe zu kommen.

Sie schmiegte sich an seine Brust. »Seltsam, aber ich kann alles hören, was sie sagen, als wäre ich mit ihnen in einem Raum. Mein Gehör war schon immer sehr gut. Ich dachte, es liegt daran, dass ich blind bin. Oder vielleicht daran, weil ich von den Jaguarmenschen abstamme?«

»Ich möchte mir die Zeit nehmen, die Geschichte der Jaguarmenschen gründlich zu studieren«, sagte Byron. > Ich glaube, sie enthält wichtige Informationen für mein Volk. Ich habe alle möglichen Fragen an dich, aber ich denke, das kann warten. Ich habe dich jetzt eine ganze Weile für mich gehabt, und ich kann es den anderen nicht verdenken, dass sie allmählich nervös werden.« Er beugte sich vor und strich seidige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. Beugte sich weiter vor, um ihr Kinn und ihren Hals mit federleichten Küssen zu übersäen, bis hin zu der verlockenden Wölbung ihrer Brust.

Antonietta schloss die Augen, als kleine Wellen der Erregung sie durchströmten. Sie genoss jeden Augenblick mit ihm. Nichts in ihrem Leben hatte sie auf die Gefühle vorbereitet, die er in ihr weckte. Sie hätte dem Klang seiner Stimme ewig lauschen können. Und sie liebte es, von ihm berührt zu werden. »Mein Gehör wird immer besser«, stellte sie befriedigt fest.

»Das ist gut. Jemand nähert sich deiner Tür. Ich möchte nicht, dass du in einer so kompromittierenden Situation ertappt wirst.« Sein Mund schloss sich um ihre Brust, und feurige Hitze explodierte in ihrem Körper.

Es klopfte leise an die Tür. »Antonietta! Lass mich bitte rein. Wir müssen miteinander reden. Du musst mir erlauben, dir alles zu erklären. Das habe ich mir durch unsere langjährige Freundschaft doch sicher verdient.«

Antonietta erstarrte, als sie Justines bittende Stimme hörte. Byron hob den Kopf und küsste sie sanft. »Sie werden darauf bestehen, mit dir zu reden.«

»Antonietta, bitte. Lass es dir doch erklären. Paul ist am Boden zerstört. Deine ganze Familie ist außer sich. Mach bitte die Tür auf.«

Als Justine Pauls Namen aussprach, zuckte Antonietta zusammen, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt. »Ich will keinen von ihnen sehen. Ich weiß nicht, wie ich mich im Moment ihnen gegenüber verhalten soll«, wisperte sie und vergrub ihr Gesiecht an seinem Hals, während sie darauf wartete, dass Justine wieder ging.

»Sie hat dir wehgetan. Mehr als Paul.« Byron strich ihre seidigen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

»Paul ist ein Schwächling. Er schwelgt mal wieder in Selbstmitleid, und etwas anderes habe ich auch nicht von ihm erwartet. Aber Justine ist eine starke Persönlichkeit, und sie war immer meine engste Vertraute. Sie hat mir etwas sehr Wichtiges genommen, etwas, das ich nie zurückbekommen kann. Am schlimmsten daran ist, dass es ihr nicht einmal bewusst ist. Offensichtlich habe ich ihr nicht annähernd so viel bedeutet wie sie mir.« Antonietta lauschte auf die Schritte, die sich von ihrer Tür entfernten. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Wenn ich nur daran denke, muss ich weinen. Findest du nicht, dass Gefühle etwas Schreckliches sind? Sie bringen alles durcheinander.«

Byron hauchte zarte Küsse auf ihr Haar. »Du hast immer Gefühle gehabt. Ich habe sie lange Zeit entbehren müssen. Mir ist es lieber, etwas zu empfinden, was es auch sein mag, selbst wenn es sehr schlimm ist.«

»Sogar Verrat? Oder Kummer?«

»Zumindest hast du die Fähigkeit, andere genug zu lieben, um Liebe und Verrat überhaupt zu empfinden. Wie auch immer, ich glaube, Justine bedauert aufrichtig, was sie getan hat, und sie begreift sicher, was sie durch ihr Verhalten verloren hat. Es muss ihr einfach klar sein.« Er hob ihr Kinn und küsste sie leicht auf den Mund. »Sie tuscheln gerade miteinander.«

»Wieso können wir sie hören, Byron? Sie sind unten. Im Wintergarten, glaube ich. Wie kommt es, dass wir sie hören können? Und warum gehen sie nicht einfach zu Bett und lassen mich in Ruhe?«

»Weil du ihnen wichtig bist, cara, und weil sie dich lieben. Sie zeigen nur, wie besorgt sie um dich sind.«

»Nun, ich wünschte, sie könnten uns diese eine Nacht einfach in Ruhe lassen.«

Wieder hörten sie jemanden auf der Treppe zu, diesmal waren die Schritte wesentlich energischer. Byron und Antonietta lauschten angespannt, bis die Person näher gekommen war und gebieterisch an die Tür geklopft wurde. »Antonietta! Cara mia, mach sofort die Tür auf, oder ich benutze den Hauptschlüssel, den ich mir von Helena geholt habe, und sperre selber auf. Ich meine es ernst. Ich muss mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es dir gut geht. Du brauchst nicht mit mir zu reden, aber du musst mich in dein Zimmer lassen. Du machst Nonno und den Kindern Angst.« Tasha klang sehr bestimmt.

»Sie sperrt bestimmt auf. Tasha blufft nie. Ich habe keinen Faden am Leib, und das Zimmer ... na ja, es ist nicht zu übersehen, was wir gemacht haben.« Antonietta geriet in Panik.

Byron schwenkte eine Hand in Richtung Badezimmer. Sofort war aus Antoniettas persönlichem Bad das Geräusch von laufendem Wasser zu hören, und der erregende Geruch ihrer Liebesstunden wich dem Duft von Antoniettas bevorzugtem Badesalz. Byron beugte sich noch einmal vor und küsste sie lange und ausgiebig. »Du nimmst ein schönes, belebendes Bad. Ich weiß, dass du dich insgeheim danach sehnst. Ich lasse Tasha herein und beschäftige sie, bis du das Gefühl hast, ihr gegenübertreten zu können.«

Antonietta rutschte von seinem Schoß. »Zieh dir bitte etwas an, Byron! Ich will nicht, dass Tasha dich plötzlich so attraktiv findet, dass sie dich unbedingt in die endlose Reihe ihrer Liebhaber aufnehmen muss. Grazie! Unglaublich, wie aufmerksam du bist.« Es war ein Beweis dafür, wie durcheinander sie war, dass sie ihm erlaubte, sich um die Details zu kümmern und allein mit ihrer Cousine zu sprechen, während sie im Nebenzimmer ein Bad nahm.

Byron wartete, bis Antonietta die Badezimmertür hinter sich geschlossen hatte, bevor er zur Tür ging. Eine weitere Handbewegung, und das Bett war gemacht und er selbst vollständig bekleidet. Er zog die Tür im selben Moment auf, als Tasha auf der anderen Seite den Schlüssel ins Schloss steckte.

Tasha schrie entsetzt auf. Ihre Hand flog an ihren Mund, und ihre Augen weiteten sich ungläubig. »Wir haben alle geglaubt, Sie wären tot!« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Dem Himmel sei Dank, dass Paul Sie nicht umgebracht hat!«

Byron trat höflich zurück, um sie hereinzulassen. Celt inspizierte die Besucherin und drehte sich um, um seiner Herrin in das große Badezimmer zu folgen und damit zu demonstrieren, dass er hier als Antoniettas Beschützer auftrat. Die geschlossene Tür stellte für ihn kein Problem dar. Der Barsoi drückte einfach mit seinen starken Kiefern die Klinke herunter und verschwand im Dampf.

»Antonietta nimmt gerade ein Band. Ich glaube, es hilft ihr, sich zu beruhigen, und macht es ihr leichter, mit ihrer Familie zu sprechen«, sagte Byron zu Tasha. Er folgte dem Barsoi und schloss die Badezimmertür, damit Antonietta ungestört blieb. Außerdem hoffte er, Tasha dadurch Zeit zu geben, sich wieder zu fassen. Sie war so blass, dass er befürchtete, sie jeden Moment auf gute, alte Weise in Ohnmacht fallen zu sehen.

»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie hier sind, sonst hätte ich nicht gestört.« Sie spähte unter ihren langen Wimpern hervor zu ihm auf. In ihren dunklen Augen lag ein Ausdruck von Erschöpfung und Erleichterung zugleich. »Antonietta war völlig außer sich über das, was passiert ist, wissen Sie, und sie hat sich große Vorwürfe gemacht, weil sie Sie allein gelassen hat, obwohl Sie schwer verletzt waren. Paul konnte sich auch nicht erinnern, warum sie beide weggegangen sind.«

Sie seufzte und entfernte sich einige Schritte von ihm, ging damit bewusst ein wenig auf Abstand, um sich von ihrem Schock erholen zu können. Tasha empfand Byrons Nähe immer als beunruhigend, und hier im Schlafzimmer ihrer Cousine wirkte er überwältigender denn je. Sie räusperte sich nervös. »Ich weiß, dass ich Sie nicht besonders freundlich aufgenommen habe. Da es ja nun aber mal mehr als offensichtlich ist, dass Antonietta sehr viel an Ihnen liegt, würde ich gern einen Neustart versuchen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Byron zog eine Augenbraue hoch und musterte sie. Ihre Worte klangen gezwungen, und er hörte aus ihrem Ton unterschwellige Abneigung heraus. »Warum die plötzliche Kehrtwendung? Sie brauchen mir nichts vorzuheucheln, um Paul vor dem Gefängnis zu bewahren. Der Vorfall wird den Behörden nicht gemeldet werden. Dafür können Sie sich bei Ihrer Cousine bedanken.«

Ein kleines Lächeln umspielte unvermutet Tashas Mundwinkel. »Sie halten nicht besonders viel von uns, oder?«

Byron antwortete nicht, sondern trat an das Buntglasfenster. »Warum lehnen Sie mich so sehr ab, Tasha?«

Sie lachte leise, aber es klang eher unfroh. »Weil Sie die erste echte Bedrohung darstellen, mit der wir jemals konfrontiert worden sind.«

Er drehte sich um, runzelte die Stirn und sah sie leicht verwirrt aus seinen dunklen Augen an. »Ich bin keine Bedrohung für Sie. Sie sind Antoniettas Cousine. Solange Sie nicht versuchen, ihr Schaden zuzufügen, werde ich tun, was in meiner Macht steht, um Sie zu schützen. Wie kommen Sie auf die Idee, ich könnte eine Bedrohung sein?«

Sie wandte das Gesicht ab, aber nicht schnell genug, um zu verhindern, dass er Tränen in ihren Augen schimmern sah. »Das sieht Ihnen wieder ähnlich.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Sagen Sie es mir.« Diesmal war seine Stimme leise und eindringlich. Sollte Tasha nicht auf diesen leichten Druck reagieren, würde er, ohne zu zögern, die angeborenen Barrieren in ihrem Bewusstsein überwinden und ihre Gedanken lesen. Was ihn anging, hatte Antoniettas Familie keine besondere Rücksichtnahme verdient.

»Schauen Sie mich an, Byron. Sie haben mich noch nie angeschaut. Ich bin schön, und mein Körper ist einfach perfekt.« Bitterkeit schwang in ihrer Stimme mit. »Das ist alles, was die Leute sehen, wenn sie mich anschauen. Niemand versucht, tiefer zu blicken und mich als Person wahrzunehmen. Und wenn es doch einmal passiert, stellt sich höchstens heraus, dass ich nicht so begabt bin wie Antonietta oder so intelligent wie Paul. Ich kann keine Kinder bekommen wie Marita. In dem Moment, in dem Christopher herausfindet, dass ich unfruchtbar bin, wird er mich abservieren oder sich eine Geliebte nehmen, die ihm Kinder schenkt. Und selbst wenn er es nicht bald tut, spätestens wenn mein gutes Aussehen schwindet - und das wird es irgendwann -, wird er mich verlassen. Nonno kann mich kaum ertragen, und Paul ist viel zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu bemitleiden. Franco beachtet mich kaum, warum sollte er auch? Ich kann mich mit ihm nicht über Aktien oder die Firma unterhalten.« Sie griff nach der Parfumflasche ihrer Cousine und schnupperte daran. »Nur Antonietta bedeute ich etwas. Sie kann nicht sehen, wie ich aussehe, und sie liebt mich für das, was ich bin, bedingungslos. Das habe ich nicht einmal bei meinen Eltern erlebt. Natürlich sind Sie eine Bedrohung für mich. Sie hat Interesse an Ihnen, und es ist echtes Interesse, nicht nur eine vorübergehende Laune.«

Tasha drehte sich zu ihm um. »Ich kann spüren, dass Sie gefährlich sind. Jeder kann das spüren. Sie strahlen es förmlich aus. Trotzdem weiß ich genau, dass Sie Antonietta nie wehtun würden. Aber Sie werden sie uns wegnehmen. Ist es also ein Wunder, wenn ich um mein eigenes Überleben kämpfe? Ohne Antonietta habe ich niemanden mehr.« Kein Selbstmitleid lag in ihrer Stimme, nur schonungslose Ehrlichkeit.

»Ich finde, Sie stellen Ihr Licht unter den Scheffel, Tasha. Es ist wahr, dass ich in Ihnen nie etwas anderes als Antoniettas Cousine gesehen habe. Ich bin praktisch besessen von Antonietta, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Ich wusste sofort, dass sie für mich bestimmt ist, dass sie meine andere Hälfte ist.« Er schenkte ihr ein Lächeln, ein aufrichtiges Lächeln. »Verzeihen Sie mir, dass ich mir nicht die Zeit genommen habe, Sie besser kennen zu lernen. Antonietta ist meine Welt, und das bedeutet, dass jeder Mensch in ihrem Leben auch zu meinem Leben gehört. Ich habe nicht vor, sie in irgendeiner Weise unglücklich zu machen, und Sie bedeuten ihr sehr viel.«

»Sie haben einen gewissen Charme. Ich kann verstehen, warum Antonietta den Kopf verloren hat.« Tasha bemühte sich, Byron trotz ihrer Empfindungen ihm gegenüber anzulächeln.

»Und Sie haben viele gute Eigenschaften, die Sie offenbar nicht zu schätzen wissen. Sie können sehr gut mit Kindern umgehen. Sie mögen die beiden hier im Haus lieber als ihre eigene Mutter.«

»Aus Marita werde ich einfach nicht schlau«, gab Tasha zu. »Ich denke oft über sie nach und frage mich, warum sie nicht glücklich ist. Wenn ich Kinder und einen liebevollen Ehemann hätte, würde ich nichts anderes mehr brauchen.«

»Nicht einmal Geld?« Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe.

»Ich habe immer Geld gehabt, es ist Teil meines Lebens. Ich weiß zwar nicht, wie es ist, kein Geld zu haben, aber glücklich hat es mich auch nie gemacht«, gestand Tasha.

»Ihr größter Wunsch ist also nicht, mehr Geld zu haben?« Ein leichter Unterton schwang in seiner Stimme mit, ein faszinierend reiner Klang.

Tasha legte den Kopf zurück und starrte ihn träumerisch an. »Mein größter Wunsch ist, ein Kind zu bekommen. Ich möchte ein Baby in den Armen halten. Es einfach lieb haben. Ich wäre eine gute Mutter geworden. Ich hätte gern die Chance gehabt, es zu beweisen.«

»Durch meine Ignoranz ist mir einiges entgangen, Tasha. Sie sind eine bemerkenswerte Frau.«

Tasha warf ihm ein unsicheres Lächeln zu. »Allein wegen dieses Kompliments könnten wir einen Waffenstillstand schließen, denke ich.«

»Das würde mich sehr freuen.«

»Danke, dass Sie mir gesagt haben, dass ich Antonietta viel bedeute.« Sie sah sich im Zimmer um. »Wie in aller Welt ist es Ihnen gelungen, hier hereinzukommen, ohne von einem von uns gesehen zu werden? Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum alle ein bisschen Angst vor Ihnen haben. Niemand sieht Sie jemals kommen und gehen.«

Er grinste sie an. »Wie der sprichwörtliche Geist.«

Tasha holte tief Luft. »Glauben Sie ernsthaft, dass Paul versucht hat, Antonietta umzubringen? Glauben Sie, er ist dazu imstande, sie und Nonno wegen seiner Spielschulden zu ermorden?« Sie sprudelte die Fragen ein wenig überstürzt hervor.

Byron zögerte und wog seine Worte sorgfältig ab. »Wenn Menschen Angst haben, tun sie Dinge, die sie normalerweise nicht tun würden. Möglicherweise hat jemand sein Leben bedroht, und er ist verzweifelt. Ich hoffe, dass es nicht so ist, aber Sie kennen ihn besser als ich. Was meinen Sie?«

»Ich wünschte, wir würden über Marita sprechen, nicht über meinen Bruder. Da hätten wir jemanden, der nach Geld und gesellschaftlicher Anerkennung hungert. Sie ist so gierig nach mehr, dass sie nicht einmal sieht, was sie hat.«

Es war die Art Bemerkung, die typisch für Tasha war und die Byron von ihr erwartete, aber er hatte das Gefühl, sie jetzt besser zu kennen, und war der Meinung, dass sie manche Dinge nur der Wirkung wegen sagte, nicht unbedingt, weil sie glaubte, dass sie der Wahrheit entsprachen. Byron wusste nicht, ob es eine schlechte Angewohnheit oder ein Schutzmechanismus war, aber es kümmerte ihn auch nicht weiter.

Tasha seufzte. »Paul war früher so lieb und gutmütig. Ich erkenne ihn kaum wieder. Er nutzt alle aus.« Sie starrte auf ihre Hände. »Wenn Sie ihn schon früher gekannt hätten, würden Sie nicht im Traum daran denken, dass er Antonietta etwas antun könnte.«

»Dennoch ziehen Sie die Möglichkeit in Betracht, dass Paul ihr jetzt etwas antun könnte. Sagen Sie, wer erbt eigentlich, wenn Ihrem Großvater etwas zustößt?«

»Der Löwenanteil des Vermögens würde an Antonietta gehen. Soweit ich weiß, ist es bereits auf sie überschrieben. Für jedes übrige Familienmitglied fallen aber dennoch mehrere Millionen ab.«

»Mehrere Millionen für jeden? So viel? Für Sie alle?«

»Ja, natürlich. Ich weiß nicht genau, wie groß Nonnos Vermögen ist, aber es muss beträchtlich sein. Er ist sehr reich. Alle von uns würden genug für den Rest ihres Lebens haben, selbst wenn wir ein luxuriöses Leben führten.«

»Also hätte jeder in der Familie finanzielle Vorteile durch Don Giovannis Tod? Und wenn Antonietta etwas zustößt? Gibt es ein Testament?«

»Natürlich. Ein Scarletti macht sich nicht ohne Testament davon.« Tasha schien sich nicht ganz wohl in ihrer Haut zu fühlen. »Ich weiß wirklich nicht, wer erbberechtigt wäre, aber es ist möglich, dass der größte Teil davon an mich fallen würde.«

»Ich verstehe.«

Rote Flecken brannten auf Tashas Wangen, und ihre großen Augen blitzten ihn wütend an. »Was fällt ihnen ein! Was wollen Sie damit andeuten? Beschuldigen Sie mich etwa?«

Er hob eine Hand, um ihr temperamentvolles Wesen zu beruhigen. »Ich habe lediglich die Fakten konstatiert. Ich habe keine Ahnung, wer den Wunsch haben könnte, Ihrer Cousine etwas anzutun. Ich bezweifle stark, dass Sie so etwas für Geld tun würden.« Für Geld wohl kaum, aber vielleicht aus Eifersucht, Byron behielt diesen Gedanken wohlweislich für sich.

»Was ist denn hier los?« Antonietta rauschte duftend und sehr verführerisch aus dem Bad.

Byron stockte der Atem. Antonietta schien von innen heraus zu strahlen. Er nahm ihre Hand und zog ihre Fingerspitzen an seine Lippen. »Tasha und ich sind dabei, einander besser kennen zu lernen. Wir haben dir zuliebe beschlossen, Frieden zu schließen.«

Tasha ging an Byron vorbei und nahm ihre Cousine in die Arme. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, Toni!«

»Ich habe mir auch Sorgen um mich gemacht«, gab Antonietta zu. »Ich hatte wirklich das Gefühl, ohne Byron könnte ich nicht weitermachen.« Als sie Tashas Umarmung erwiderte, spürte sie, dass ihre Cousine zitterte.

»Du bist viel zu sensibel, Antonietta. Eine weitere Eigenschaft der Scarlettis«, stellte Byron fest. »Ich hätte Vorkehrungen treffen sollen.« Der erste Blutaustausch hatte sie gefährlich eng aneinander gebunden. Wenn sie jetzt schon vor Kummer beinahe den Verstand verlor, welche Auswirkungen würde ein weiterer Austausch haben? Plötzlich besorgt, runzelte er die Stirn.

»Byron ist offensichtlich am Leben und gesund«, erinnerte Tasha sie. »Du darfst nicht noch einmal vor Sorge krank werden, Toni. Der arme Nonno ist außer sich. Du musst zu ihm gehen, sonst kommt er nie ins Bett.«

»Das mache ich, Tasha. Solange ich nicht wusste, ob Byron in Sicherheit und außer Gefahr war, konnte ich niemanden sehen. Und ich muss auch nach Marguerite schauen. Ist sie froh, dass sie wieder zu Hause ist? Geht es ihr heute Abend besser? Hat sie noch schlimme Schmerzen?«

»Sie ist sehr unruhig. Marita setzt ihr ständig damit zu, dass Scarlettis nicht weinen und kein großes Theater machen und dass sie die Zeit, in der sie nicht herumlaufen kann, dazu nutzen sollte, wichtige Dinge zu lernen. Was ist bloß los mit dieser Frau?« Tasha war sichtlich verärgert. »Ich habe Marguerite stundenlang vorgelesen und mit ihr gespielt, aber Marita will ihr nicht einmal erlauben, sich etwas im Fernsehen anzuschauen. Sie möchte, dass Marguerite selbst liest. Franco kann sie nicht umstimmen, obwohl er es wirklich versucht hat. Ich habe die beiden streiten gehört. Wenn du noch einmal nach Marguerite schauen und ihre Heilung beschleunigen könntest, wäre das einfach großartig.«

Byron faszinierte es, wie selbstverständlich die Menschen hier mit den Scarletti-Gaben umgingen. Sie gehörten zu ihrem Leben, so wie seine Gaben Teil seiner selbst waren, und sie verwendeten sie völlig unbefangen.

»Byron versteht auch einiges vom Heilen. Er hat meine Schulter versorgt, obwohl er selbst schwer verletzt war«, sagte Antonietta. »Vielleicht können wir beide zusammen dafür sorgen, dass Marguerites Verletzung schneller heilt. Was Marita betrifft, so scheint sie die fixe Idee zu haben, aus Marguerite eine große Gelehrte zu machen, und vergisst dabei ganz, dass ihre Tochter noch ein kleines Kind ist. So war sie früher doch nicht!«

»Das stimmt«, pflichtete Tasha ihr seufzend bei. »Ehrlich, Toni, auf einmal scheint alles aus den Fugen zu geraten. Heute Abend habe ich Helena gebeten, Nonno das Essen auf einem Tablett zu bringen, aber er schien die Sachen nicht anrühren zu wollen. Er brummelte etwas in sich hinein, und ich könnte schwören, dass er gesagt hat, ich würde versuchen, ihn zu vergiften! Er stritt es ab, als ich ihn direkt darauf ansprach, aber genau das hat er gesagt, Ehrenwort! Das Verrückte daran ist, dass Paul genau dasselbe getan hat. Ich habe das Tablett persönlich in sein Zimmer getragen, und er hat es an die Wand geschleudert und behauptet, ich wolle ihn vergiften!« Sie schwenkte aufgebracht die Arme. »Ich verstehe nicht, wie du mit ihnen allen fertig wirst. Zwei Minuten später hat er so getan, als hätte ich das Tablett fallen lassen.«

»Warum wollten Sie Ihrem Großvater und Ihrem Bruder das Essen persönlich bringen?«, fragte Byron. »So etwas haben Sie doch im Leben noch nicht gemacht.«

Tasha funkelte ihn an. »Ich habe versucht, Toni zu vertreten. Nonno war furchtbar aufgeregt und hatte den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen, deshalb habe ich darauf bestanden, ihm etwas auf einem Tablett zu servieren.«

»Wo sind die Speisen? Wurden sie in die Küche gebracht?« Ein leichtes Grollen schwang in Byrons Stimme mit. Antonietta wandte den Kopf und sah ihn fragend an.

Tasha zuckte die Achseln »Woher soll ich das wissen? Ich habe die Schweinerei jedenfalls nicht weggeputzt, sondern das Ganze Helena überlassen. Ich bezweifle, dass die Sachen aufbewahrt worden sind. Wahrscheinlich hat man sie weggeworfen.« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Sie sind doch nicht etwa hungrig? Falls dem so sein sollte, essen Sie bitte nicht aus dem Mülleimer. Wir haben bestimmt auch noch etwas Anständiges im Haus.«

»Ein Waffenstillstand dauert bei Ihnen wohl nicht lang, Tasha?«

»Nicht, wenn Sie sich wie ein Idiot aufführen.« Sie musterte ihn mit einem arroganten Blick. »Ich mache mich häufig im Palazzo nützlich. Warum auch nicht?«

Antonietta beschloss zu intervenieren. »Was ist mit Enrico? Gibt es etwas Neues über unseren verschwundenen Koch?« Sie legte beiläufig eine Hand auf Byrons Arm, um ihn an ihrer

Seite zu halten. In dem Moment, als er von Don Giovannis und Pauls seltsamem Benehmen erfuhr, wusste er, was das Verhalten der beiden zu bedeuten hatte, das spürte sie. Sag es mir.

Lass mich ein paar Nachforschungen in der Küche anstellen.

Du glaubst, dass das Essen vergiftet war, nicht wahr? Wie hätte einer von beiden das wissen sollen?

»Enrico ist immer noch nicht aufgetaucht. Dieser reizende Captain war wieder hier, aber da wir ihm schlecht sagen konnten, was vorgefallen war, haben wir nur kurz mit ihm gesprochen und ihm erlaubt, sich noch einmal Enricos Zimmer anzuschauen. Danach ist er gleich gegangen.« Tashas Stimme klang bedauernd. »Er ist wirklich nett, Toni. Und er liebt die Oper. Ich habe ihm versprochen, ich würde versuchen, ihm für deine nächste Aufführung gute Plätze zu besorgen, und er hat gesagt, er würde nur hingehen, wenn ich mitkomme.«

»Hast du ihn von Paul ferngehalten?«

»Paul hat sein Zimmer nur verlassen, um mit Don Giovanni zu sprechen. Er wollte weder mich noch Franco sehen, aber Justine war ein paar Mal bei ihm. Ich hatte nicht vor, den Captain in seine Nähe zu lassen. Paul war so verstört, dass ich Angst hatte, er würde sich selbst anzeigen.« Tasha warf Byron einen fragenden Blick zu. »Sie wollen doch nicht wirklich zur Polizei gehen, oder?«

»Nein, Tasha, ich habe nicht die Absicht, Anzeige gegen Ihren Bruder zu erstatten.«

»Grazie! Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

»Legen Sie mein Verhalten nicht als Freundlichkeit aus.« Byrons Stimme klang sehr scharf, und einen Moment lang wirkten seine Zähne lang und spitz wie die eines Wolfs. Eine Flamme loderte in den Tiefen seiner Augen auf und ließ seine Pupillen in einem feurigen Rot erglühen.

Tasha keuchte, wich einen Schritt zurück und legte schützend eine Hand an ihre Kehle. Sie blinzelte, um das Bild zu verscheuchen, und kam sich reichlich albern vor, als sie nur noch Byrons vertraute dunkle Augen sah, die sie anfunkelten. Sie belauerten. Ohne zu blinzeln. Wie ein Raubtier. Wieder bekam sie Angst, und ein Schauer überlief sie.

Celt, der neben Antonietta kauerte, senkte den Kopf und starrte Byron mit gesträubtem Nackenhaar an, durch und durch der Jäger, der er war.

Antonietta legte eine Hand auf Tashas Schulter. »Was ist los? Und sag nicht >nichts<.« Beruhigend strich sie dem Hund über den Kopf. »Celt wittert etwas. Vielleicht ein wildes Tier.« Riechst du die Katze, Byron ?

Tasha zögerte. »Ach, ich war einfach dumm. Einen Moment lang hat Byron mir richtig Angst gemacht. Er sah aus wie ...« Ihre Stimme verebbte. Sie konnte kaum sagen, dass Byron sie an einen Wolf erinnert hatte.

Byron verbeugte sich leicht. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, Tasha. Ich möchte nur nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen. Paul hätte Antonietta beinahe getötet. Falls er hinter den Anschlägen steckt, wird er nicht ungestraft davonkommen. Dafür werde ich persönlich sorgen. Wenn er unschuldig ist und jemand anders etwas gegen Antonietta plant, werde ich den Schuldigen finden.« Celt wittert den Formwandler in mir. Keine Angst, es lauert keine Gefahr in unserer Nähe.

Byron wollte nicht angeben, stellte Tasha fest, nicht einmal drohen. Er meinte jedes Wort ernst und sprach mit absoluter Überzeugung. Bei dem Gedanken schlug ihr Herz schneller. Hinter seinem Tonfall verbarg sich der Wunsch nach Vergeltung.

»Ich gehe jetzt in die Küche, um mich dort umzusehen, und treffe euch beide dann in Marguerites Zimmer.« Verzeih mir, Celt, alter Freund, aber bei dem Gedanken, dass Antonietta in Gefahr schwebt, kommt der Wolf in mir zum Vorschein. Byron hielt seine Hand vor die Schnauze des Hunds, damit das Tier den Geruch verinnerlichen konnte.

Die wachsame Haltung des Hundes veränderte sich sofort, und seine Anspannung ließ nach, obwohl er schützend an Antoniettas Seite blieb. Liebevoll tätschelte sie seinen Kopf. »Celt gehört schon so sehr zu meinem Leben, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, was ich ohne ihn gemacht habe«, sagte sie.

»Er scheint sehr an dir zu hängen«, bemerkte Tasha, »aber er ist so groß und irgendwie beängstigend. Wir haben noch nie einen Hund im Palazzo gehabt. Marguerite wird ihn sofort in ihr Herz schließen. Verträgt er sich gut mit Kindern?«

»Celt liebt Kinder. Ein Barsoi ist ein richtiger Familienhund, ein Gefährte und Beschützer. Glauben Sie mir, die Kinder werden ihn lieben«, versicherte Byron ihr. Er kraulte Celt hinter den Ohren und streifte dabei Antoniettas Hand. Sofort sprühten Funken zwischen ihnen hin und her, und die Atmosphäre im Zimmer knisterte vor Erotik.

Antonietta rieb sich an seinem Körper wie eine zufriedene Katze, die sich träge streckt. Byron beugte sich zu ihr vor. Hitzewellen jagten über Antoniettas Haut und breiteten sich in ihrem Inneren aus. Sie schlang ihre Arme um Byrons Hals und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Die Welt hörte auf zu existieren. Es gab nur noch Hitze und Feuer und seinen harten, männlichen Körper, der sich eng an ihren schmiegte.

Tashas Augen wurden schmal und bohrten sich in die beiden, und sie gab einen leisen Laut des Widerwillens von sich. Byron drehte Antonietta um und führte sie zum Fenster, ohne sich von ihren Lippen zu lösen. Tasha blinzelte. Die beiden waren kaum noch zu erkennen. Das Mondlicht, das durch die Bleiglasfenster fiel, schien Antonietta und Byron in einen Dunstschleier zu hüllen. Tashas Hand ballte sich zu einer so festen Faust, dass sich ihre Fingernägel in ihre Haut bohrten.

Sie spürte Byrons Blick, der dunkel und brütend auf, ihr ruhte, als überlegte er, was er von ihr halten sollte. Antonietta, die in Byrons Armen lag, war nicht zu sehen, aber sein Kopf hob sich leicht, als ob er irgendwo eine Gefahr witterte. Unter der Intensität seines Blicks sträubten sich Tasha die Nackenhaare. Sie erschauerte und eilte zur Tür.

»Kommst du, Toni? Es ist schon spät, und Nonno sollte längst im Bett sein.«

»Natürlich, ich komme schon.« Eine Unzahl intimer Geheimnisse schwang in Antoniettas Stimme mit. Sie küsste Byron noch einmal. »Es dauert nicht lange.«

»Nimm Celt mit.« Es klang wie ein Befehl. Byron legte genug Nachdruck in seine Worte, dass Antonietta nicht zögerte, obwohl sie leicht die Stirn runzelte. Sie war es unverkennbar gewöhnt, eigene Entscheidungen zu treffen und ihren Kopf durchzusetzen, und kaum jemand versuchte ihr zu sagen, was sie zu tun oder zu lassen hatte.

»Toni!«, sagte Tasha scharf.

Antonietta berührte Byrons Fingerspitzen, eine hauchzarte Geste, die dennoch Verbundenheit ausdrückte. Sie wusste sehr gut, dass Tasha trotz ihres Waffenstillstands ihr Missfallen ausdrückte. Sie ist temperamentvoll.

Das kannst du laut sagen.

Antonietta brach in Gelächter aus. Tasha starrte Byron finster an, da sie den Verdacht hatte, dass die beiden über sie tuschelten oder, schlimmer noch, sich über ihre Eifersucht amüsierten. Sie streckte einen Arm aus, um ihre Cousine am Handgelenk zu packen und notfalls aus dem Zimmer zu zerren. Wie aus dem Nichts tauchte der Hund auf und schob sich wie zufällig vor ihre Cousine. Die dunklen Augen wirkten sehr unschuldig.

»Ich hätte gute Lust, dir einen Tritt zu verpassen«, sagte Tasha und schloss Antoniettas Schlafzimmertür mit mehr Wucht, als nötig gewesen wäre. Sie hoffte, sie Byron vor der Nase zuzuknallen.

»Warum das denn?«, fragte Antonietta, als sie Tasha auf den Gang hinaus folgte.

»Nicht dir, sondern dem blöden Hund oder diesem Mann, dem du dich gerade praktisch an den Hals geworfen hast. Was war denn das für ein Auftritt, Toni? Du hast eine gewisse Contenance zu bewahren. Du solltest dich nicht wegen eines Mannes lächerlich machen.«

Die Verachtung in Tashas Stimme ließ Antonietta zusammenzucken. »Ich war in meinen privaten Räumlichkeiten und sehe nicht ein, inwiefern ich mich lächerlich gemacht haben soll.«

»Du benimmst dich wie ein liebeskranker Teenager. Es ist peinlich. Und dieser Hund ist lästig. Er ist zu groß und steht ständig im Weg herum. Was willst du überhaupt mit einem Hund? Ich verstehe nicht, wie Byron auf die Idee gekommen ist, ihn dir zu schenken. Wenn Marita dahinterkommt, dass er gefährlich ist, ist der Teufel los.«

»Wie kommst du auf die Idee, dass er gefährlich ist?« Antonietta versuchte gar nicht erst, ihre Verärgerung zu verbergen. »Du magst Byron vielleicht nicht, Tasha, und das ist okay für mich, aber mach bitte nicht aus reiner Gehässigkeit Ärger wegen Celt.«

»Ich bin nie gehässig!«, entgegnete Tasha gereizt. »Fünf Minuten mit diesem Mann, und schon stellst du dich gegen deine Familie. Ich hoffe, dir ist klar, dass du total verblendet bist. Es ist alles andere als schön, mit ansehen zu müssen, wie du einen kompletten Idioten aus dir machst, also sei so gut, und nimm meinen Rat an!«

»Ich habe keinen Rat gehört«, sagte Antonietta, »nur Sprüche, die nach den berühmten sauren Trauben klingen.«

Tasha lachte unerwartet. »Wie Recht du hast! Ich bin so neidisch, dass ich dem Kerl die Augen auskratzen könnte. Ich möchte auch eine heiße Affäre haben. Ein Liebesdrama erleben. Irgendetwas! Jemand versucht dich zu ermorden, Paul schießt auf dich. Du schließt dich einen ganzen Tag mit deinem Kummer ein. Es war einfach perfekt! Andächtige Stille im Palazzo und du allein mit deinem Leid. Und dann stoße ich in deinem Zimmer auf einen Mann und muss feststellen, dass du geradezu vor Leidenschaft Funken sprühst! Am liebsten würde ich mich vor Neid vom Dach stürzen. Naja«, schränkte sie ein, »vielleicht doch eher vom Balkon.«

»Er ist wundervoll«, sagte Antonietta. Sie fand es sehr angenehm, mit Celt an ihrer Seite zu gehen. Er lenkte ihre Schritte mit seinem Körper sogar noch viel besser, als Justine es gekonnt hatte.

»Es ist nicht zu übersehen, dass du ihn toll findest. Mir macht er immer noch Angst, Toni, und ich weiß nicht, warum. Paul sagt, dass er dein Leben gerettet und dabei sein eigenes aufs Spiel gesetzt hat, aber ich habe trotzdem Angst vor ihm. Irgendetwas an ihm stimmt nicht.«

»Für mich stimmt alles an ihm.« Antonietta schritt voller Selbstvertrauen die lange, geschwungene Treppe hinunter. Celt schien ihr auf magische Weise seine Sehkraft zu leihen. Obwohl sie nichts sehen konnte, wusste sie genau, wohin sie ihre Schritte setzen musste, als würde der Hund sie führen, indem er das, was er mit seinen Augen wahrnahm, in ihr Bewusst- sein übertrug.

Tasha legte eine Hand auf Antoniettas Arm, bevor sie die Richtung zu Don Giovannis Zimmern einschlagen konnte. »Warum war Paul im Geheimgang? Und warum hatte er eine Waffe bei sich? Hat er dir das gesagt?«

»Er schuldet irgendwelchen gefährlichen Leuten Geld und sagt, dass er die Pistole zu seinem Schutz gekauft hat. Und er war in dem Gang, weil er die Familienschätze der Scarlettis stehlen wollte, um sie zu verkaufen und von dem Geld seine Schulden zu zahlen.«

Tasha schüttelte traurig den Kopf. »Ich dachte, er hätte mit dem Glücksspiel aufgehört. Er hatte es uns doch versprochen. Er hat mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass er Geld braucht. Hat er sich an dich gewandt? Oder an Don Giovanni? Wie ist er bloß auf den Gedanken gekommen, die Familie zu bestehlen?« Sie ließ sich abrupt auf die unterste Treppenstufe sinken. »Es tut mir so leid, Toni. Das habe ich nicht gewusst. Ich dachte, er würde zu mir kommen, wenn er in der Klemme ist. Ich schäme mich schrecklich.«

Antonietta hörte ihre Cousine leise weinen. Tröstend legte sie eine Hand auf Tashas Schulter. »Du bist für Paul nicht verantwortlich, Tasha. Er ist erwachsen und trifft seine eigenen Entscheidungen. Dieser Sache wird er sich stellen müssen. Er hätte Byron und mich beinahe getötet. Hoffentlich denkt er darüber nach und sucht Hilfe, bevor es zu spät ist.«

Tasha hob den Kopf und tupfte vorsichtig ihre Tränen ab, um ihr Make-up nicht zu verschmieren. »Du musst Nonno die Wahrheit sagen.«

Antonietta seufzte. »Ja, vermutlich, aber ich freue mich gar nicht darauf.« Wo bist du? Sie brauchte Trost. Eine Auseinandersetzung mit ihrem Großvater über Pauls weiteres Schicksal war mehr, als sie im Moment verkraften zu können glaubte. Sie verspürte den absurden Drang, nach oben zurückzulaufen, sich in ihr Schlafzimmer einzusperren und Byron dort gefangen zu halten.

Ich durchkämme gerade eure Küche nach Anhaltspunkten. Ich glaube, im Moment ist mein Talent als Detektiv gefragt.

Antonietta empfand sein Lachen wie einen schützenden Umhang, der sich um sie legte.

Übrigens, die Vorstellung, dein Gefangener zu sein, gefällt mir. Vor allem, wenn deine Tür abgesperrt ist und deine Familie sich sehr lange von uns fernhält. Übrigens finden sich Spuren derselben Substanz, die ich bei dir, deinem Großvater und Paul gefunden habe, in den Essensresten im Mülleimer.

Antoniettas Lächeln verblasste. Wenn sie Byron glauben durfte, versuchte jemand in ihrem eigenen Zuhause, sie alle drei umzubringen. Ein Irrtum ist ausgeschlossen? Du bist dir ganz sicher?

Cara mia, ich würde dich nie grundlos beunruhigen. Er schickte ihr Wellen von Wärme und Trost. Geh zu deinem Großvater. Er macht sich Sorgen und braucht Ruhe. Über Paul kannst du später mit ihm reden.

»Ich gehe jetzt zu Nonno, Tasha. Kommst du mit?«

»Ich glaube, ich bleibe lieber noch eine Weile hier sitzen, denke über alles nach und bemitleide mich selbst. Wir können uns nachher bei Marguerite treffen. Ich habe ihr versprochen, heute Nacht bei ihr zu schlafen.«

»Aber das machst du doch gar nicht gern, Tasha! Du hasst es, nachts nicht in deinem eigenen Bett zu liegen. Marguerite ist alt genug, um allein in ihrem Zimmer zu schlafen.«

»Das weiß ich. Aber sie sieht so klein und verletzlich aus. Im Palazzo gibt es doch so viele Geräusche, und nach dem Einbruch und all dem Wirbel um die Schießerei ist sie völlig verängstigt. Es wird mich schon nicht umbringen, eine Nacht in ihrem Zimmer zu verbringen.«

»Es sei denn, Marita erwischt dich«, warnte Antonietta sie.

Tasha schnaubte abfällig. »An dem Tag, an dem ich nicht mehr mit Marita fertig werde, bin ich keine Scarletti mehr.«

»Ein paar Minuten bei Großvater, dann komme ich zu euch.« Antonietta stand neben ihrer Cousine und lauschte der bedrückenden Stille im Haus. »Wenn du schon beim Überlegen bist, denk bitte auch über dein Verhalten Byron gegenüber nach. Du solltest dir Mühe mit ihm geben. Er wird nämlich bleiben.«

Tasha zog scharf den Atem ein. »Du denkst doch wohl nicht an eine Heirat? An eine dauerhafte Beziehung? Er ist eine Laune, ein Spielzeug. Du weißt, dass er für dich nie etwas anderes sein kann. Es steht viel zu viel auf dem Spiel.«

»Geld, meinst du. «

»Nicht nur Geld.« Sie machte mit den Armen eine weit ausholende Bewegung. »Alles hier. Wir alle.«

Antonietta antwortete nicht. Sie spürte Byrons Ruhe. Dass er auf sie wartete. »Wie schön, dass du so verständnisvoll bist, Cousine.« Die Genugtuung, Byron ihrer Familie zuliebe aufzugeben, würde sie keinem geben. Sie ging zu ihren Großvater, um ihn zu beruhigen. Solange sie wusste, dass Byron hier war und darauf wartete, den Rest der Nacht mit ihr zu verbringen, fiel es ihr nicht schwer